Sonntag, 31. August 2014

Das Vorurteil ist das Kind der Unwissenheit / William Hazlitt

Am nächsten Tag liefen wir von Prizren aus zur Festung Kalaja hinauf.

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Der Wanderweg ist gut ausgebaut, immer wieder eröffnet sich ein anderer Blick auf die Berge, die Stadt und die Festung. Die Festung liegt 525 m über Meer und bietet einen fantastischen Blick auf die gesamte Stadt. Bei Ausgrabungen wurde entdeckt, dass der Platz schon seit der Bronzezeit (2.200 bis 800 v. Chr.) besiedelt war. Es wurden auch Spuren aus der Eisenzeit, der Römerzeit und spätantike Funde gemacht. Bei den archäologischen Ausgrabungen seit 1969 fand man Reste von mittelalterlichen und osmanischen Wohnbauten. Es hat früher ein Hamam und eine Moschee gegeben. Die militärischen Anlagen wurden bis 1912 genutzt, danach verfiel alles. Seit 2008 beschäftigt man sich mit Konservierungs- und Sanierungsarbeiten. Beim Abstieg in die Stadt dann das große Ereignis – endlich – eine junge Frau mit Kopftuch.

Prizren ist eine Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten, Kulturschätzen und Moscheen, lauschigen Plätzen und dem Flüsschen Bistrica, über das sich an einer Stelle wahrscheinlich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts eine osmanische Steinbrücke spannt, die die alten Stadtteile verbindet. Diese Brücke wurde 1979 durch ein Hochwasser zerstört und danach originalgetreu wieder aufgebaut. Für mich ist sie ein optisches Kleinod, ich habe sie jetzt als Desktophintergrund auf meinem PC.

2014-08-Prizren-02-Osmanische-Steinbruecke-ueber-die-Bistrica

Diesen kurzen Spaziergang durch die Stadt habe ich wirklich genossen. Überall saßen die Menschen in den hübschen Straßenrestaurants, aßen in geselliger Runde zu Mittag und plauderten. Einen Blick warf ich in die Sinan-Pascha-Moschee, ein imposantes Bauwerk, das größte islamische Gotteshaus im Land und Wahrzeichen von Prizren. Sie wurde zwischen 1600 und 1615 vom Wesir Sinan Pascha errichtet aus den Steinen des 1455 von den Osmanen zerstörten Erzengelklosters. Das Minarett ist 42 m hoch.

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In einem wunderschönen Restaurant aßen wir Fleisch, knackigen Salat und frisches Brot zum Mittag – sehr lecker und preiswert.

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Ich muss es hier ganz einfach mal erwähnen: Wo ich auch hinkam, was ich auch fragte, die Menschen waren zuvorkommend, freundlich und gaben bereitwillig Auskunft. So auch in einer Türbe (muslimisches Mausoleum oder Grabstätte in einem prachtvollen Häuschen), von der ich vorher schon einmal im Internet gelesen hatte. In unseren Kirchen befinden sich die Särge von bedeutenden Persönlichkeiten der Vergangenheit meist in einem Kellergewölbe. Ich durfte zwar ein Foto machen, werde es aber für mich behalten. Plötzlich ertönte von einem Minarett ganz in der Nähe der Ruf des Muezzin (ruft die Muslime zum Gebet – vergleichbar mit dem Läuten der Kirchenglocken), und dann hörte man den Ruf auch von allen anderen Minaretten der Stadt. Heute wird der Ruf meist über Lautsprecher übertragen, früher stand der Muezzin, der übrigens kein Geistlicher ist sondern zum Personal der Moschee gehört, direkt auf dem Minarett. Es war beeindruckend, denn vorher hatte ich nur Kirchenglocken in natura erlebt. Auf unserem Weg durch die Stadt überholte uns ein Wohnmobil mit deutschem Nummernschild - zwei junge Leute auf ihrer Reise durch den Kosovo. Sollte das vielleicht Symbolcharakter haben?

Sehr früh waren wir auf den Beinen nach Albanien in den Badeort Durres an die Küste der Adria, vier Stunden Busfahrt vor uns. Bei der Ankunft erstürmten gleich einige Leute den Bus, um die Neuankömmlinge in Beschlag zu nehmen. Eine Frau hielt meinen Arm umklammert, ich verstand kein Wort. Mein Freund erklärte mir, dass sie ein Zimmer zum Übernachten anbietet. Es zog uns zum Wasser, denn es war sehr heiß, und eine frische Brise würde uns gut tun.

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Der Strand ist kilometerlang, eine Liege an der anderen. Ich bewunderte die Seebrücken, wie ich sie von der Ostsee kenne. An der schmalen Promenade gibt es kleine Läden, Stände mit Spielzeug und Strandbekleidung, Möglichkeiten zum Telefonieren, Restaurants und Eiscafes mit ganz leckerer Eiscreme. Offene, stinkende Müllcontainer und große Löcher auf dem Gehweg der Hauptstraße gaben ein ganz anderes Bild dieses Ortes, der mit viel Arbeit und Organisationstalent noch zum echten Badeort werden kann. Für Fußgänger ist die Stadt eine wahre Herausforderung. Ich habe keinen Fußgängerüberweg gesehen. Man muss im Schweinsgalopp über die stark befahrenen Straßen flitzen, um auf die andere Seite zu kommen – ein Beitrag zur Fitness der Leute? Nachdem wir den ganzen Tag herumgelaufen waren, freuten wir uns schon auf die Ruhepause im Bus. Da wir noch ein wenig Zeit hatten bis zur Abfahrt, tauschten wir unsere restlichen Lek in Naschereien um. Welch ein Schreck – der Bus war weg, 15 Minuten früher abgefahren. Der schnellen Reaktion meines Freundes und der Fahrkunst eines Taxifahrers ist es zu verdanken, dass wir ihn doch auf der Hauptstraße noch erreichten und kein Hotelzimmer buchen mussten. Wenn ich Albanien das nächste Mal besuche, bin ich gespannt auf die Hauptstadt Tirana.

Ein absolutes Muss, wenn man in Kosovo Urlaub macht, ist der Besuch des Adem-Jashari-Monuments in Prekaz. Im folgenden Video einiges zur Geschichte.

http://youtu.be/kDHp8UWOrNI

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Nachdem das Haus mehrere Tage lang beschossen und die meisten Bewohner tot waren, fanden die serbischen Soldaten ein lebendes Mädchen, ich glaube 11 Jahre alt, unter all den Toten. Sie nahmen es bei der Hand, zeigten ihm jeden einzelnen Toten (Oma, Opa, Mutter, Vater, Geschwister, Cousinen, Cousins) zur Identifizierung. Noch heute werden Menschen, die irgendwo in Massengräbern verscharrt wurden, von ihren Angehörigen gesucht.

Viele andere schlimme Ereignisse auf der ganzen Welt haben das, was hier geschah in Vergessenheit geraten lassen. Doch wir sollten uns auch daran erinnern, wenn wir heute einem Kosovo-Albaner begegnen. Der Titel meines Blogs lautet nicht umsonst: Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut. Und wenn wir ganz ehrlich sind, gibt es auch im Leben jedes einzelnen von uns Situationen, in denen wir Mut haben müssen, um unsere persönliche Freiheit zu verteidigen, sei das Land in dem wir leben noch so demokratisch.

Ich war in vielen Ländern unterwegs, habe die Sehenswürdigkeiten, die landschaftlichen Schönheiten, die Geschichte erkundet, aber auch nie die Augen vor den Problemen der Menschen verschlossen. Ich empfinde Kosovo als ganz normales Land. Im Erscheinungsbild gleicht es manchmal ein bisschen Spanien, ein anderes Mal ein bisschen Frankreich, sogar zum Osten Deutschlands vor etlichen Jahren konnte ich Parallelen entdecken. Natürlich liegt noch ein schönes Stück Arbeit vor den Menschen. Investitionen sind dringend nötig, der Tourismus, die Energieversorgung, das Gesundheitswesen müssen ausgebaut werden, um nur Einiges zu nennen. Das geht nicht von heute auf morgen. Man muss aber aufpassen, dass die Hilfe auch dort ankommt, wo sie benötigt wird. Ich werde jedenfalls dieses Land weiter erkunden und mir dafür Zeit nehmen, in meinem nächsten Urlaub. Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen: Das zweite Kopftuch sah ich an einer türkischen Frau am Tag meines Rückflugs. Sie checkte nach Istanbul ein.

Samstag, 30. August 2014

Reisen ist tödlich für Vorurteile / Mark Twain

Wenn ich meine Bekannten frage, wo sie denn in den letzten Jahren ihren Urlaub verbracht haben, schwärmen sie von den unterschiedlichsten Ländern und Gegenden der ganzen Welt. Den Balkan haben einige schon bereist, es fallen dann aber Namen wie Griechenland oder Kroatien. Kosovo bringen die meisten nur in Verbindung mit einem schrecklichen Krieg vor etlichen Jahren, unsicherer Lage und Spannungen zwischen Serben und Albanern. Die wenigsten wissen, dass man (auch laut Auswärtigem Amt) nur den Norden, insbesondere die Gegend um Mitrovica meiden sollte, sich aber im übrigen Teil gefahrlos bewegen kann. Viele Vorurteile kommen ins Spiel, wenn Mann oder Frau an Kosovo denkt, darüber spricht oder gar einen Kosovo-Albaner trifft. Muslime sind radikal, sie beten den ganzen Tag, die Frauen tragen Kopftuch und, und und... Ich wollte es wissen und entschloss mich in diesem Jahr ganz spontan, mir während eines Schnupperurlaubs (leider hatte ich nicht mehr Zeit) selbst ein Bild zu machen.

Also buchte ich bei airprishtina einen Flug und schon konnte es losgehen. Natürlich war es beim Check-in auf dem Flughafen Zürich ziemlich voll, denn es war Ferienzeit, und die meisten Kosovo-Schweizer (eine Schweizer Zeitschrift bezeichnete Kosovo unlängst als 27. Kanton der Schweiz), wollten natürlich einen preiswerten Urlaub in ihrer Heimat und mit ihren Verwandten verbringen. Das kann ich gut verstehen, denn in der Schweiz ist ein Familienurlaub unbezahlbar, wenn man Normalverdiener ist. Meine Bedenken bezüglich des langen Wartens wurden bald zerstreut, denn es ging zügig und vor allem diszipliniert vonstatten. Auch die vielen kleineren Kinder ließen diese Prozedur ohne Quengelei über sich ergehen (und das bei Kosovo-Albanern – die können doch ihre Kinder nicht erziehen). Über eine Beobachtung möchte ich noch berichten: Auf dem Flughafen unterhielten sich die albanischen Familien fast ausschließlich schweizerdeutsch, im Flugzeug albanisch, so wie auf dem Flughafen in Prishtina bei der Gepäckausgabe. Auf dem Rückflug beobachtete ich genau das Gegenteil. Auf dem Flughafen sprachen sie noch albanisch, doch sowie sie die Maschine betreten hatten, unterhielten sie sich schweizerdeutsch – wenn das keine Integration ist!!! Ich jedenfalls flog früh am Morgen voller Erwartung meinem kleinen Abenteuer entgegen.

Von meinem Freund war ich schon auf den Flughafen „Adem Jashari“ in Prishtina vorbereitet worden, aber als ich ankam, war ich positiv überrascht, wie modern er ausgestattet ist und wie schnell ich mein Köfferchen wieder in den Händen hielt. Mit ihm zusammen ging ich einem sonnig-warmen Tag entgegen. Den Flughafen gibt es an diesem Standort seit 1965. 2011 bekam, trotz Protesten der Bevölkerung, die türkischen Limak-Holding den Zuschlag, ihn für 20 Jahre nach eigenen Plänen zu gestalten. Am 23. Oktober 2013 wurde nach zweijähriger Bauzeit das neue Terminal eröffnet. Es soll künftig bis zu 1,5 Millionen Passagiere pro Jahr abfertigen. Seit der Erweiterung besitzt der Flughafen vier Fluggastbrücken.

Flughafen-Prishtina

Flughafen-Adem-Jashari

Während der Autofahrt in die Hauptstadt fielen mir die vielen neu gebauten Häuser auf, die zum Teil erst halb fertig an der Straße standen. Sie entstehen überall dort, wo die Serben während des Krieges brandschatzten und die alten Häuser unbewohnbar machten. Es war aufgeräumt und sauber. Die Wiesen und Gärten waren grün, mit Obstbäumen und Blumen bestückt, im Hintergund sanfte Rundungen der Berge. Prishtina zeigte sich mir als eine lebendige Stadt mit vielen Menschen und leider auch vielen Autos. Man sieht immer wieder Fahrzeuge mit ausländischen Kennzeichen, Deutschland, Schweden, Österreich, Finnland, Norwegen, Italien und natürlich nicht zu vergessen Schweiz. Zahlreiche Straßencafes laden mit schattigen Plätzen, schmackhaftem Kaffee zu kleinen Preisen zum Verweilen ein, und überall gibt es Bänke zum Ausruhen. Kleine Schneider- und Schuhmacherwerkstätten locken Kunden für schnelle Reparaturen bei denen man zuschauen kann. Große Einkaufszentren und Boutiquen werben mit Sonderangeboten. Der Grundstein für die Mutter-Teresa-Kathedrale wurde schon 2005 gelegt, mit dem Bau, der 2015 abgeschlossen sein soll, allerdings erst 2007 begonnen. Sie soll das harmonische Zusammenleben der katholischen Minderheit mit der muslimischen Mehrheit symbolisieren

Mutter-Teresa-Kathedrale

In einem kleinen Restaurant stillte ich meinen Hunger mit einem echten deutschen Kartoffelsalat, den ein freundlicher junger Mann mir ganz stolz präsentierte – und der hat richtig gut geschmeckt. Ich habe kein einziges Kopftuch gesehen. Aber das lag ganz sicher an der Hitze des Tages.

Freiluftrestaurant

eine-kleine-Pause

Nationaltheater

Hotel und Bank

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